Luaverde Portugal für Genießer

 

Gibt es ein Recht auf Leben?

 

Bruno Beltrao

Das Bild zeigt das HipHop-Projekt "Grupo de Rua de Niterói"
des Choreographen Bruno Beltrão,
© reserviert

 

Und wenn ja, gilt es für alle Menschen oder ist es ein Recht mit einer gewissen Exklusivität (geworden)?  Habe ich, seit mehr als zwanzig Jahren elektrohypersensibel, noch ein Recht auf Leben, das Recht auf Teilhabe, das Recht auf einen Platz in der Welt, das Recht auf Lebensqualität, das Recht auf Gesundheit?

Ist uns, den Menschen, die elektrohypersensibel sind (und auch denen, die an Multipler Chemikalien Sensibilität leiden), nicht stillschweigend dieses Recht, an dem alles hängt, aberkannt worden, zugunsten eines technologischen Fortschritts, der als absolut und unverhandelbar definiert wird, auch wenn er einen hohen Preis fordert? Erleben wir, die Menschen, die umweltkrank sind, nicht permanent, dass unsere grundlegenden Rechte nicht mehr gelten, uns verweigert worden sind zugunsten der Interessen, der Rechte und Freiheiten einer Mehrheit?

Der Verlust von Arbeit, Wohnung, Wohnort,
Freunden und Familie


Auf dieser Grundlage sind Realitäten entstanden, die für Menschen mit Umwelterkrankungen den Verlust jeglicher Sicherheiten und jeglichen Schutzes bedeuten können und in Folge den Verlust der Arbeit, Umzug aus Haus oder Wohung, Verlust des Wohnortes, eine Existenz in Isolation und Einsamkeit, fern von Familie und Freunden, ohne Teilhabe an Sport, Kultur und anderen sozialen Aktivitäten. Was bedeutet es, wenn ich nachts aus meinem Haus fliehe, erschöpft und kraftlos, um draußen zu schlafen, nur in einem Schlafsack, in einer Wiese, weil ich aufgrund der Nutzung des mobilen Internets durch meine Nachbarn nicht einschlafen kann, über Stunden nicht? Das ist selbstverständlich geworden und die wenigsten würden sich entschuldigen für das, was sie mir zumuten. Es ist die permanente Erfahrung, keinen Platz mehr zu haben in dieser Welt.

Ich weiss persönlich von elektrohypersensiblen Menschen, die ganzjährig in einem Zelt oder in ihrem Auto schlafen, weit weg von Wohngebieten, weil es ihnen zu schlecht gehen würde, wenn sie die Nacht im Haus verbringen würden, mit den Smartphones etc. aus der Nachbarschaft und ihr Gehirn nicht zur Ruhe kommen und sich ein wenig regenerieren würde. Aus Not schlafen wir draußen, aus Not flüchten wir an den Rand der Zivilisation!

Aber es ist kein Skandal in Europa, dass Menschen aus gesundheitlichen Gründen genötigt sind, ihre Häuser zu verlassen, temporär oder für immer, weil sie in einer Umwelt leben, die sie chronisch krank werden lässt. Das entscheidende Problem liegt dabei auf der Ebene der Politik, die die Rechte der Schwächsten in der Gesellschaft nicht (mehr) verteidigt. Es ist möglich, EHS zu diagnostizieren, anhand sogenannter Biomarker. Es wäre dementsprechend möglich und auch geboten, Lebensräume zu schaffen spezifisch für Menschen mit EHS  oder auch MCS. Es wäre dementsprechend auch nötig, die Öffentlichkeit zu informieren über EHS und MCS und z.B. Schulen und Universitäten inklusiv zu gestalten, Mediziner fortzubilden in der Diagnose von Umwelterkrankungen, an Therapien zu forschen zur Behandlung von Ursachen und Symptomen von EHS und MCS.

Die Realität ist, dass Menschen, die umweltkrank sind, weitestgehend von der Gesellschaft und Politik alleingelassen sind, vergessen in einem menschenunwürdigen Überlebenskampf. Viele verlieren ihre Arbeit und wenn sie freiberuflich tätig waren und alleinstehend sind, ist das Risiko hoch, in eine absolute Armut abzustürzen und im schlimmsten Fall obdachlos auf der Straße zu landen.

Das Recht auf Menschenwürde,
gilt es auch für uns?

Gibt es ein Recht, gibt es eine ethische oder moralische Grundlage, Menschen, die schwer chronisch erkrankt sind, dermaßen an den Rand zu drängen, in eine derartige existenzielle Unsicherheit zu bringen und sie dort zu lassen? Oder, anders gesagt, haben wir, die Menschen, die an EHS oder MCS erkrankt sind, ein Recht auf Würde, ein Recht auf Leben, auf ein menschenwürdiges Leben wie alle anderen? Ja oder nein?

Und wenn nein, warum Nein? Und wenn ja, warum wird uns dann derartiges zugemutet, ein Überlebenskampf am Rande der Gesellschaft, immer weiter an den Rand gedrängt, in die Unsichtbarkeit verbannt? Wir sind die Leprakranken von heute, vergessen und ausgeschlossen, nicht weil wir an einer ansteckenden Krankheit leiden, sondern weil wir zu sensibel sind für diese hoch technologisierte Welt. 

Simone Klein, Assisi, 4. August 2022

Mit Erstaunen habe ich gerade gelesen, wie sehr sich bestimmte Passagen dieses Textes mit dem decken, was ich bereits im März 2016, noch in Lissabon, geschrieben habe, und hier verlinke. Dennoch ist es inzwischen deutlich schwieriger und drammatischer. In Lissabon war es mir, trotz Beschwerden, immer möglich, in meinem Häuschen in einem großen Garten zu schlafen.

Und mich schmerzt das Schicksal anderer Menschen mit EHS. Mich erschüttern Geschichten wie die dieser jungen Frau aus den USA, die vor fünf Jahren aufgrund einer 5G-Antenne in ihrer Nachbarschaft mit 28 Jahren elektrohypersensibel geworden ist und mir geschrieben hat, aus einem Zufluchtsort in Mexiko, fern von ihrer Familie und ihren Freunden. Sie hatte ihre erfolgreiche Selbstständigkeit aufgeben müssen und versuchte, weit weg von Zuhause zu überleben. An einer Stelle schreibt sie: "Ich würde alles dafür geben, mein Leben, so wie es war, wieder zu haben."

Es ist eine traumatische Erfahrung, dieses Lebens beraubt zu werden aufgrund einer schweren chronischen Erkrankung. Und es ist nicht so, dass man etwas anderes, neues findet, eine Perspektive für die Zukunft. Anders als den meisten anderen Menschen wird uns diese Perspektive verweigert, u.a. aus Gleichgültigkeit. Aber auch, weil wir die schöne Illusion demontieren, dass Mobilfunk gesundheitlich unbedenklich sei. Diese Illusion und diese Lüge, hinter der schlicht Milliarden-Geschäfte und -Interessen stehen. Geschäfte und Interessen, die nicht nur unser Leben für wertlos erachten, sondern auch das so vieler Kinder und Jugendlicher, die in dieser Welt aufwachsen.