Luaverde:
Musik für die Sinne
Musik
und Poesie sind in Portugal fast untrennbar miteinander verbunden.
Und sie sind federleicht. Flüchtige Orte der Sehnsucht, der Träume,
der Melancholie und der Freude. Hier
eine kleine, persönliche Auswahl:
Misia
Misia
ist mit ihrer CD "drama box" zu einer Reise aufgebrochen:
von Spanien über Portugal nach Argentinien. Doch auf "drama
box" begegnen sich nicht nur Tango, Bolero und Fado, sondern
auch einige Diven aus Film und Musik: Maria de Medeiros, Fanny Ardant,
Miranda Richardson, Carmen Maura und Ute Lemper. Sie alle sprechen
das Gedicht "Fogo Preso" von Vasco Graça Moura, ein
Gedicht über die Liebe als ein Feuerwerk zwischen zwei Menschen,
die auflodern und verglühen. Ein wunderschönes Gedicht,
das durch die je einzigartige Ausdruckskraft der Darstellerinnen einen
je eigenen Duft verströmt, wie Parfüm, das sich auf der
Haut einer Frau entfaltet. Diese CD überschreitet also Grenzen,
zwischen den Sprachen, zwischen Kulturräumen. Ein bemerkenswertes
Experiment, bei dem Misias warme, ausdrucksstarke Stimme wie auf einer
Reise durch verschiedene Landschaften zur vertrauten Gefährtin
wird, mal begleitet vom Akkordeon, dann wieder von der Guitarra Portuguesa.
Mariza
Sie
ist eine der großen Fado-Künstlerinnen des neuen Jahrtausends,
eine Diva bereits heute, obwohl sie noch so jung ist. Wer ihre CDs
wie "Fado Curvo" oder "Transparente"
kennt, wird sich fragen, zu welchen Gestirnen sie noch aufbrechen
wird. Mariza erzählt die Gedichte, aus denen der Fado gemacht
ist, neu: zart, elegant und zugleich kraftvoll im Ausdruck. Lieder,
die von Poeten, Fischverkäuferinnen, dem Regen und natürlich
immer und immer wieder von Portugal handeln, von seinem Licht, seinen
Menschen. Lieder, die mal fröhlich und beschwingt sind, dann
wieder erfüllt von Schwermut und getragen von einer Stimme, die
dem Fado eine neue, große Zukunft verheisst.
CDs: Fado em mim (2001), Fado Curvo (2003), Transparente
(2005)
Amália
Rodrigues
Von
Amália Rodrigues gibt es natürlich zahllose Aufnahmen.
Ihr Repertoire ist unglaublich groß. Eigens für sie sind
Fado-Stücke komponiert worden. Sie war Muse und Göttin des
Fado zugleich. Die Auswahl dürfte daher nicht leicht fallen.
Und doch: hier soll nur auf eine einzige CD aufmerksam gemacht werden,
ein kleines Meisterwerk, das aus lange unveröffentlichten Studio-Aufnahmen
der Jahre 1965-1975 besteht und Amália auf dem Höhepunkt
ihrer Karriere und stimmlichen Reife zeigt: "Segredo"
(Geheimnis, 1997). Die zwölf hier versammelten Aufnahmen zeigen
die ganze Tiefe des Fado und sind von jeglicher Folklore und Fröhlichkeit
gereinigt. Voller Trauer, voller Melancholie, und nur für Tage
bestimmt, an denen dies die einzigen möglichen Gefühle sind.
"Es ist kein Unglück, arm zu sein oder verrückt zu
sein ... aber es ist ein Unglück, den Fado im Herzen und im Munde
zu tragen", so heißt es in dem Lied "Não é
desgraça ser pobre". Wer hätte das besser wissen
können als Amália?
Bernardo
Sassetti
Von
ihm stammt die Filmmusik zu "Alice". Fast zeitgleich hat
er "Indigo" veröffentlicht, ein Jazz-Solo. Als nächstes
folgte "Ascent" vom Bernardo Sassetti Trio. Diese CD sollte
man an Tagen voller Regen und Melancholie hören, Tagen mit Herbstlaub
oder Nebel, die man still in einem gemütlichen Sofa verbringt
oder in einem Café in Lissabon oder Porto, bei einer warmen
Tasse Kakao, einem Whiskey oder Portwein und am besten noch in Begleitung
des Romans "Der Winter in Lissabon" von Antonio Muñoz
Molina.
Beides
paßt nämlich gut zusammen: das Buch über einen Jazzpianisten,
der von San Sebastian quer durch Europa nach Lissabon reist, um die
Frau seines Lebens vor einem Killer zu beschützen, und diese
Musik vom Bernardo Sassetti Trio, in der das Klavier oft mit dem weiblichen
Klangkörper des Cellos, gespielt von Ajda Zupancic, einen Dialog
beginnt. Fast alle Stücke hat Sassetti komponiert: mal mit stärkeren
Bezügen zum Jazz, dann wieder lyrisch, poetisch, zart wie der
Hauch einer Impression. Impressionen von Gefühlen, die wie Regen
perlen.
Rodrigo
Leão
"Cinema"
ist eines der jüngeren Werk von Rodrigo Leão. Und wie
das Kino selbst ist es ein Stück Weltkultur, mit Texten in Englisch
und Französisch und nur einem Lied auf Portugiesisch: "Rosa"
gesungen von der Brasilianerin Rosa Passos. Die CD erzählt eine
kleine Geschichte von Liebe und Verlust, von Glück und Schmerz
... und die da singen, sind Beth Gibbons, Helena Noguerra, Rosa Passos
und Sónia Tavares. Am Piano begleitet sie Ryuichi Sakamoto,
der neben Rodrigo Leão auch einen Teil der Stücke komponiert
hat. Doch so weltläufig diese CD daher kommt, so sehr hört
man in ihr auch den Herzschlag Portugals. Es ist, als könne man
in dieser Musik das Meer und den Tejo riechen, die regennassen Straßen
Lissabons sehen, und ein Liebespaar auf diesen Straßen, das
sich umarmt und streitet, zueinander hintanzt und sich wieder voneinander
entfernt, auf einem der Plätze, von dem die Tauben auffliegen.
Kino also, für die Ohren ... und fürs Herz. Leicht, schwebend,
traumtänzerisch.
The
Sixteens
In
dieser Musik öffnet sich ein Raum für Stille, ein Raum wie
in Kathedralen: hoch, dunkel, erhaben. Ein geistiger Raum. Das britische
Ensemble "The Sixteens" hat schon mit früheren CDs
einen Zugang zur geistlichen Musik Portugals geschaffen. 2005 ist
nun in einer makellosen Aufnahme "Renaissance Portugal"
erschienen, mit Chorwerken von Manuel Cardoso und Duarte Lobo. "The
Sixteens" interpretieren diese sakrale Musik aus dem Übergang
vom 16. zum 17. Jahrhundert mit großer Klarheit. Die portugiesische
Kirchenmusik dieser Zeit sei oft von einem fast peinigenden harmonischen
Reichtum, den man nirgendwo sonst finde, urteilt das Ensemble selbst.
Eine Musik, durch die sich die geistige Welt ihrer Zeit enthüllt
und die auch einen anderen Zugang zu den sakralen Bauwerken des 16.
und 17. Jahrhunderts in Portugal eröffnet.
Die
Bildleiste oben zeigt:
den Torre de Belem, Lissabon, © Antonio Sacchetti
Castelo de Vide, © João Paulo
Azenhas do Mar, © José Manuel
Mandelblüte im Algarve, © RTA und
das Kloster São Vicente de Fora, Lissabon, © José
Manuel