Luaverde-Porträt
Évora
Die weiße Stadt im Alentejo
Sie
strahlt etwas Elegantes aus rund um den zentralen Platz, die Praça
do Giraldo mit herrschaftlichen Häusern rundum und einem
Brunnen aus der Renaissance als Blickfang und Zentrum. Cafés
säumen den schönen Platz und Grüppchen von Männern
aus dem Alentejo bevölkern ihn ebenso wie Touristen jeden
Alters. Elegant wirkt die Stadt, schmuck, ohne herausgeputzt zu
sein. Ganz im Gegenteil - an vielen der weißen Häusern
blättert der Putz, so manches könnte einen neuen Anstrich
vertragen, Winterregen und Feuchtigkeit hinterlassen Spuren in
der Stadt, die im Sommer tagsüber oft auf vierzig Grad Celsius
im Schatten kommt. Und doch wirkt Évora schmuck. Sie trägt
ihre alternde Schönheit mit der gleichen Gelassenheit, die
die Alentejanos auszeichnet, ein Volk, so knorrig wie die Korkeichen
und die Olivenbäume, die in diesem Landstrich wachsen. Und
so ist dieses kleine Porträt auch eine Hommage an die Menschen
dieser Gegend, denn man begegnet ihnen ja auch auf Schritt und
Tritt in Évora mit seinen weißen Häusern mit
gelb umrandeten Türen und Fenstern.
Eine
Stadt inmitten einer weitläufigen Landschaft, karg unter
der unerbittlichen Sommersonne, einst Weizenkammer des Alentejo,
Schauplatz des großen Romans des Schriftstellers José
Saramago, "Hoffnung im Alentejo". Nirgendwo
waren in Portugal die Unterschiede zwischen Arm und Reich größer
als hier, die Not der Armen bitterer - Tagelöhner
waren sie meist bei Großgrundbesitzern, die so viel Land
hatten, dass sie es kaum nötig hatten, es zu bestellen, sondern
es oft auch für die Jagd brach liegen ließen, während
die Bauern kaum etwas zu essen hatten. Ja, Hunger gehörte
auch im 20. Jahrhundert zum Alentejo. Und
die Nelkenrevolution vom April 1974 fand hier ihren stärksten
Widerhall. Landgüter wurden von Bauern und Tagelöhnern
besetzt, Kooperativen gegründet, doch bereits in den achtziger
Jahren wurde ein Großteil der Landreform rückgängig
gemacht. An der Armut der Vielen hat die Revolution am Ende wenig
geändert.
Noch
Mitte der neunziger Jahre fuhren Familien hinüber zur Tomatenernte
nach Spanien, blieben wochenlang dort und auch die Kinder, oft
im Alter von 10, 12 Jahren oder sogar jünger, arbeiteten
den ganzen Tag auf den Feldern, für weniger Geld als die
Erwachsenen, versteht sich. Eine bittere Ernte.
Évora im Sommer 1992: auf der Fahrt von Lissabon
nach Évora im heißen August fahren wir am späten
Nachmittag an vielen offenen Lastern vorbei, die Menschen und
Ernte von den Feldern in die Dörfer bringen. In Évora:
Ein Besuch in der Knochenkapelle, die zur Franziskus-Kirche gehört.
Boden und Wände bestehen aus menschlichen Knochen. Sie sollen uns an die Flüchtigkeit und Vergänglichkeit des Irdischen erinnern.
Eine
Rast im städtischen Park auf einer Bank: wir werden von Männern
umkreist, die uns offensichtlich für etwas anderes halten,
als was wir sind. Die Konsequenz und Lehre: man darf Männer
hier nicht anschauen, auch nicht kurz! Am besten blickt man auf
den Boden, wenn man an einem vorbei geht oder auf einer Parkbank
sitzt. Die Abendessen auf der Dachterrasse unserer kleinen Pension:
Tomaten, Brot, Oliven, Ziegen- und Schafskäse und Wein inmitten
flatternder Wäsche im Abendwind, mit einem Rundumblick auf
die Stadt und das Land.
Évora
im Februar 2009: 17 Jahre später, die Erinnerung
an die Markthalle Évoras so präsent wie eh und je.
Erinnerung an die Lebendigkeit, das quirlige, geschäftige
Treiben, die wettergegerbten Männer, Ziegen- und Schafhirten,
Bauern, die wunderbar aromatischen Schafs- und Ziegenkäse,
die vielfältigsten Gerüche von Käse, Kräutern,
Obst, Gemüse, das Stimmengewirr, unvergleichlich ...
Der
erste Gang führt dorthin. Dort,
wo einst in bunter Unordnung die Stände waren, mit dem Treiben
der Menschen, Hunde und anderer Tiere dazwischen, heute ein breiter,
sauberer Gang.
Die
Stände sind in kleine Buden links und rechts gebannt, adrett
für Touristen dargeboten. Nichts verweist darauf, wie es
einst war. Von Lebendigkeit keine Spur. Außer den Touristen
kommen wohl auch nicht mehr viele her. Der Besuch lohnt dennoch:
wegen der Käse aus der Gegend, die es immer noch gibt. Und
vielleicht sind es noch die gleichen Männer, die sie schon
damals verkauft haben? Und am Ende der Seite mit den Käse-Buden
gibt es ein kleines Lädchen, das den Besuch auch lohnt: "Tiborna"
- dahinter verbergen sich Kuchen nach regionalen und klösterlichen
Rezepten: Honigkuchen, Buttergebäck, Kastanien-Plätzchen,
Käsetörtchen oder auch Sericaia. Und: viel weniger süß
als konventionell hergestellt, der Geschmack fein, die Zutaten
hochwertig, kurz: diese Küchlein hinterlassen eine Erinnerung
auf dem Gaumen. Und verantwortlich dafür ist Dona Maria Adelaide
Cangarato, die diese Köstlichkeiten herstellt.
Auch
vom Brotbacken verstehen die Alentejanos einiges. Nicht umsonst
war ihr Landstrich die Kornkammer Portugals. Ein richtiges Alentejo-Brot
(es gibt auch welche, die nur dem Namen nach welche sind, v.a.
in Lissabon, daher dieser Hinweis) sollte außen kross sein,
innen fluffig weich. Es schmeckt köstlich nur mit Butter,
dazu ein regionaler Käse und einer der kräftigen Weine
der Region - da kann man das Paradies auf Erden schmecken und
dann die Erkundungstour von römischem Tempel und Terme, alter
Bibliothek und Dom fortsetzen. Auf keinen Fall sollte man es versäumen,
sich einfach durch Evora treiben zu lassen, durch die vielen kleinen
Gassen mit uraltem Kopfsteinpflaster. Man kann hier einiges für
sich entdecken, Dinge, zu unspektakulär für einen Reiseführer
...
Simone Klein